"Vernünftige Maschinen"? Empfehlungen zur Motorrad-Grundversorgung

"Vernünftig" ist wohl Ansichtssache. Uns fragt man jedenfalls regelmäßig zu Saisonbeginn nach solchen Motorrädern. Je Kategorie empfehlen wir je drei Modelle.

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Lesezeit: 20 Min.
Von
  • Ingo Gach
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Von denjenigen, die noch kein Motorrad in der Garage stehen haben, bekomme ich zu Beginn der Saison oft die Frage nach einem "vernünftigen" Motorrad gestellt. Unser Herausgeber Detlef Grell nannte "vernünftiges Motorrad" spontan und völlig zu Recht ein Oxymoron, denn ein Motorrad könne ja per se nicht vernünftig sein. Er ließ sich von uns dann immerhin noch auf eine MZ 250 ETZ herunterhandeln, aber solche tatsächlichen Gebrauchsmotorräder für Arbeiter, Bauern und Hebammen werden ja seit dem Untergang der real existierenden DDR (genauer: seit Dezember 1991, ohne die letzten Ausläufer zu rechnen) nicht mehr gebaut.

Nachdem "Brot-und-Butter"-Maschinen bei uns insofern Geschichte sind, ist die Definition nicht mehr ganz einfach. Aus den Fragen hört man heraus, dass das Motorrad Spaß machen, aber beherrschbar bleiben soll, außerdem natürlich zuverlässig und – ganz wichtig – auch noch preiswert bleiben. In der Kombination fallen eine Menge leistungsstarker Modelle weg, auch hochpreisige Bikes verbieten sich, selbst wenn sie einen guten Werterhalt haben. Allzu schwache Motorräder bereiten wiederum nicht den erwünschten Fahrspaß.

Wer sich ein Motorrad zulegen möchte, sollte sich erst einmal darüber klar werden, welche Art er oder sie bevorzugt: Enduro? Naked Bike? Sportler? Tourer? Cruiser? Als nächstes sollte der Betreffende sich überlegen, wofür er das Motorrad vorwiegend verwenden möchte. Lautet die ausgewählte Sparte beispielsweise "Enduro", folgt daraus die Frage: Möchtest du auch Gelände fahren? Natürlich sind Enduros eigentlich für den Offroad-Betrieb konzipiert, aber die meisten Reiseenduro-Besitzer verlassen nie den Asphalt. In dem Fall sollte man eher zu einer Version mit Gussfelgen und 19-Zoll-Vorderrad greifen, anstatt zu Drahtspeichenfelgen und einem 21-Zoll-Vorderrad. Wer hingegen gerne im Dreck wühlt, macht sich das Leben mit einer riesigen Reiseenduro von fünf Zentner Gewicht unnötig schwer.

Naked Bikes sind zurzeit sehr beliebt, wer damit aber hauptsächlich kurze Ausflüge auf kurvigen Landstraßen unternimmt, braucht keine 130 PS oder mehr. Ähnliches gilt für Sportmotorräder: Bei Rennstreckentrainings machen Superbikes mit 200 PS für erfahrene Piloten Sinn, auf der Landstraßen kann man hingegen nur einen Bruchteil der gewaltigen Leistung umsetzen und ist mit einem Mittelklasse-Sportler besser bedient. Schwere Tourer mit XXL-Verkleidungen, Koffern, Topcase und Sofa-Sitzbank sind für weite Urlaubsreisen zu zweit mit viel Gepäck gedacht, aber ein Fahrer, der meist allein in der Stadt unterwegs ist, wird darauf nicht glücklich. Den umgekehrten Fall haben schon viele Käufer von Cruisern (früher Soft-Chopper genannt) kennengelernt, weil die Sitzposition für lange Strecken zu unbequem ist.

Wir haben für die jeweiligen Kategorien drei "vernünftige" Modelle aus dem aktuellen Neumotorradmarkt rausgepickt und die Kurzbeschreibungen für den tieferen Einstieg mit unseren Testberichten oder Modellvorstellungen angereichert. Es gibt sicherlich noch weitere Modelle, die das Prädikat "gut und günstig" erfüllen, die aber hier nicht erwähnt werden, um den Rahmen nicht zu sprengen. Bevor uns Proteste erreichen: Wir möchten niemand davon abhalten, sich ein 210-PS-Geschoss zuzulegen oder für sein Lieblingsmotorrad 30.000 Euro hinzublättern. Für die Erfüllung eines persönlichen Traums gibt es im Motorradbereich kaum Grenzen.

Seit zehn Jahren auf dem Markt, hat sich die MT-07 alleine in Deutschland rund 30.000-mal verkauft. Das quirlige und leichte Naked Bike kann auf der Landstraße genauso begeistern, wie im Stadtverkehr und zeichnet sich durch hohe Zuverlässigkeit aus. Ihr 689 cm3 großer Reihenzweizylinder leistet 73 PS bei 8750/min. Er dreht rasant hoch und fühlt sich deshalb auf dem 184 kg leichten Motorrad nach mehr Leistung an.

(Bild: Yamaha)

Neben ihrer Handlichkeit kommt Einsteigern und Kurzgewachsenen die niedrige Sitzhöhe von 805 mm entgegen. Letztes Jahr gab es eine Überarbeitung der MT-07, wobei vor allem das 5-Zoll-TFT-Display hervorzuheben ist, natürlich mit Smartphone-Connectivity. Sie hat zwar nur eine Telegabel ohne Einstellmöglichkeiten, aber das Fahrwerk arbeitet absolut zufriedenstellend. Dazu verfügt die MT-07 rundum über LED-Licht und eine sehr angenehme Sitzposition. Der Preis startet bei 8374 Euro und es gibt sie in den Lackierungen Blau, Schwarz oder Anthrazit/Cyan.

Der Dauerbrenner Z 900 von Kawasaki hält sich schon seit Jahren unter den Top 3 in Deutschland. So viele zufriedene Kunden können nicht irren. Auch wenn das Naked Bike optisch im aggressiven Streetfighter-Stil daherkommt, fährt es sich absolut friedlich.

(Bild: Kawasaki)

Es wird von einem exzellenten, 948 cm3 großen Reihenvierzylinder angetrieben, der 125 PS und 99 Nm leistet. Er bietet immer genügend Leistung und rennt, wenn es sein muss, 240 km/h. Die Z 900 erweist sich zudem als handlich und mit einer angenehmen Sitzposition gesegnet.

Auch die 820 mm Sitzhöhe stellen nur wenige Piloten vor Probleme. Ein TFT-Display mit einer Menge Funktionen erfreut die Generation Smartphone. Das Geheimnis ihres Erfolgs liegt nicht zuletzt im günstigen Preis von 10.295 Euro. Wer 1500 Euro drauflegt, bekommt die Z 900 SE mit komplett einstellbarem Öhlins-Federbein, Brembo-Bremsen und Stahlflexleitungen. Nötig ist das nicht, denn die Basis-Z 900 reicht völlig aus.

Die CB 750 Hornet kam, sah und siegte – in der Zulassungsstatistik eroberte sie sich auf Anhieb den Titel "erfolgreichste Honda" in Deutschland. 3295 verkaufte Hornissen sprechen für das Konzept des neuen Reihenzweizylinders mit 270 Grad Zündversatz. Er produziert 92 PS bei 9500/min und 75 Nm bei 7250/min.

(Bild: Honda)

Das reicht für sehr ordentliche Fahrleistungen, zumal die Hornet nur 190 kg auf die Waage bringt. Der in Metallic-Rot lackierte Brückenrahmen besteht aus Stahlrohren und das Showa-Fahrwerk ist nicht einstellbar, abgesehen von der Vorspannung des Federbeins, aber ihre Fahrmanieren sind tadellos.

Sie eilt handlich durch alle Kurvenradien und überfordert den Fahrer nie. Die Hornet erreicht 205 km/h und verbraucht dennoch im Schnitt nur 3,8 Liter auf 100 km. Zudem bietet sie ein fünf Zoll großes TFT-Display, vier Fahrmodi, Schlupfregelung und Wheelie-Kontrolle. Mit 8190 Euro ist die CB 750 Hornet erfreulich günstig.

Wer bei einer Enduro den idealen Kompromiss aus Straßen- und Geländetauglichkeit sucht und zudem mit ihr auch noch lange Touren fahren will, kommt an der Yamaha Ténéré 700 kaum vorbei. Als der legendäre Name "Ténéré" 2019 endlich wieder zurückkehrte, dankten es die Fans mit reichlich Käufen.

Yamaha Ténéré 700

(Bild: Yamaha)

Die im Rallye-Stil auftretende Yamaha kommt ausgesprochen gefällig daher und ihr brillanter 689-cm3-Reihenzweizylinder schiebt mit 73 PS an. Im Gelände zeigt sich die 204 kg leichte Enduro mit ihren langen Federwegen als sehr tauglich, aber auch auf Asphalt läuft sie zu glänzender Performance auf.

Inzwischen gibt es die Ténéré in sechs verschiedenen Varianten, doch schon die Basis-Version für 11.374 Euro ist absolut ausreichend. Seit letztem Jahr bietet sie ein TFT-Display, ihr ABS ist weiterhin abschaltbar für Geländeeinsätze.

Der neue 776-cm3-Reihenzweizylindermotor von Suzuki kann absolut überzeugen. In der V-Strom 800 DE sorgt er mit 84 PS und 78 Nm für dynamischen Vortrieb und guten Durchzug. Auch wenn die Reiseenduro mit 230 kg nicht leicht ist, spürt man wenig von dem Gewicht.

(Bild: Suzuki)

Die V-Strom 800 DE erweist sich als handlich und spurstabil. Im Gelände schlucken die 220 mm Federwege vorne und hinten auch tiefe Löcher weg, das 21-Zoll-Rad sucht sich seinen Weg durch den Schotter. Gleichzeitig sitzt es sich sehr bequem auf der Suzuki und dank eines 20-Liter-Tanks bietet sie eine theoretische Reichweite von fast 500 km.

So werden auch Fernreisende von der 11.500 Euro teuren Enduro nicht enttäuscht. Wer bevorzugt auf dem Asphalt unterwegs ist, sollte zur Basis-V-Strom 800 mit Gussfelgen greifen – vorne im 19-Zoll-Format – deren Federwege auf 150 mm gekürzt wurden. Das erspart nicht nur sieben kg, sondern auch 900 Euro.

Auf der Honda XL 750 V Transalp fährt es sich ausgesprochen bequem und sie vermittelt dem Fahrer vom Start weg viel Vertrauen. Auf ihr muss über das Fahren gar nicht nachgedacht werden, sie transportiert einen stets sicher über jegliche Strecke und das oft schneller als man glaubt.

(Bild: Honda)

Die Transalp kann Alpenpässe genauso flink hochwieseln wie über die Autobahn gleiten, dank eines gut geformten Schilds bietet sie zudem sehr guten Windschutz. Selbst auf Schotter macht die 208-kg-Honda eine gute Figur, denn ihr Showa-Fahrwerk verfügt über 200 mm Federweg vorn und 190 mm hinten. Sie rollt auf einem 21 Zoll großen Drahtspeichen-Vorderrad und selbst das Hinterrad misst 18 Zoll, so wie es Enduristen lieben.

Dabei hält ihr 755-cm3-Reihenzweizylinder stets genügend Druck parat, die maximalen 92 PS müssen nur selten abgerufen werden. Honda bietet die XL 750 V Transalp wahlweise in der historischen Tricolour-Lackierung mit goldfarbenen Felgen an, so wie sie die erste Transalp bereits in den 80er Jahren trug. Das äußerst stimmige Gesamtpaket gibt es für 10.790 Euro.